Großes hatte ich vor. Eine Pässetour zum Sattfahren. Immer Richtung Süden, bis über den Gavia, den ich schon ewig nicht mehr gefahren bin und dann über „kleines Geläuf“ zurück zum Hotel. Insgesamt rund 450 Kilometer – mit etlichen Highlights. Eigentlich ist „Kilometerfressen“ nicht so mein Ding. Aber diesmal wollte ich es mir geben. Früh los, nur kurze Pausen und am Abend selig ins Bett fallen. Das war der Plan.
Ob der aufgehen würde, war am Samstagmorgen schon fraglich. Statt um 7 Uhr von Weckerklingeln wach zu werden, weckte mich 45 Minuten später ein Telefonanruf meiner Frau. Ich hatte verschlafen. Schnell unter die Dusche und dann ab zum Frühstück.

Kurz nach acht war auch die Sonne da, doch bis alles aufgerödelt und ich startklar war, zeigte die Uhr viertel nach zehn. 450 Kilometer sollten gefahren werden, macht 9 Stunden reine Fahrzeit, plus Fotostopps und Pausen – eine Herausforderung. Spätestens am Umbrail würde ich mich entscheiden müssen …
Trotz aller zeitlichen Diskrepanz blieb es dabei, möglichst viele kleine Straßen zu fahren. Das erste Ziel: die „Piller Höhe“ mit dem „Gacher Blick“.

Weiter dann durchs Inntal – aber nicht auf der langweiligen und zudem viel befahrenen Landstraße sondern über eine parallel dazu verlaufenden Nebenstrecke. Die hatte ich mit ein paar Radfahrern ganz für mich allein – herrlich!
Richtung Finstermünzpass hieß es dann im Verkehr erst mal Mitschwimmen. Zum Überholen bot sich kaum Gelegenheit. Die Schlange der Autos und Wohnmobilen, die in die Gegenrichtung – zum Fernpass – drängte, riss einfach nicht ab, so dass sich selbst auf den Geraden kein Lücke zum Vorbeischlüpfen bot.

Ein kurzer Fotostopp an der Festung Nauders, an der Wanderer gern den Kaiserjägersteig erklimmen, und schon ging’s weiter. 35 Kilometer später stoppe ich am Reschensee. Natürlich muss der „versunkene Kirchturm“ mal wieder im Bild festgehalten werden. Diesmal ragt er besonders weit aus den „Fluten“ des Stausees.

Schlag 12 Uhr erreiche ich Prad am Stilfser Joch. Die Kirchturmglocken läuten, als ich auf die Passstraße abbiege. Rund 23 Kilometer noch, dann ist einer der höchsten Alpenpässe „bezwungen“. Doch diesmal hinterlässt die abenteuerliche Fahrt über 48 enge Kehren keine so richtige Fahrfreude aufkommen.
Die Aussicht auf die umliegenden Berge, die teilweise noch schneebedeckt sind, ist fantastisch, die Streckenführung eine Herausforderung. Ich lasse es relativ ruhig angehen und genieße die Fahrt als solche. Immer wieder tauchen „Tiefflieger“ im Rückspiegel auf, denen ich bereitwillig Platz mache.
Vor mir fährt eine Gruppe Schweizer Motorradfahrer, die schon in den ersten, noch relativ breiten Kehren, sichtlich Schwierigkeiten hat, ihre Maschinen ums Eck zu kriegen. Wenig später habe ich einen Spanier vor mir, dessen Sozia wie besessen während der Fahrt fotografiert und sich dabei immer von links nach rechts wirft, um offensichtlich die optimale Perspektive zu finden, was der Fahrstabilität der Motorrades nicht unbedingt zuträglich ist.
Hinter Trafoi kommt mit eine Gruppe Engländer in aufgemotzten Autos entgegen, die angesichts der schmalen Straße rechts und links verwechseln und teilweise im Drift ums Eck schießen.
Gemächlich wird es dann ab Kehre 32. Ein Alfa kämpft sich die Steigungen hinauf und bleibt in jeder Kehre erst einmal kurz stehen. Schön, wenn man gerade mit Schwung ausgeholt hat und dann beim Einlenken abrupt abbremsen muss. Ans Überholen ist erst einmal nicht zu denken. Auf den „Geraden“ gibt der Italiener Gas.
Es stinkt nach Kupplung und nach Bremsen, die Öltemperatur des luftgekühlten Boxer nähert sich den 120 Grad. Immer höher, immer enger, immer steiler verläuft die Streckenführung. Jede Rechtskehre will mit Bedacht gefahren sein. Wie weit kann ich „ausholen“, was kommt mir vielleicht auf meiner Fahrbahn entgehen? Auf welche „Hindernisse“ treffe ich als nächstes?
Etwa auf eine Gruppe „Sportfahrer“, die in bunte Lederkombis gepackt, zwar auf den Zwischenstücken schnell sind, in den Kehren aber kaum Schritt fahren, weil sie „fußeln“ müssen – oder umgekehrt. Oder auf diesen wahnsinnigen VW-Bus Fahrer, der seinen betagten T3 irgendwie den Berg heraufprügeln muss und zum echten Verkehrshindernis wird. Warum machen Menschen so etwas?

37 Minuten habe ich gebracht, hoch aufs Stilfser Joch. Hier oben tobt wie immer der Bär. Ich finde den Rummel (heute) fürchterlich und will nur noch weg. Irgendwer hat mal geschrieben, man könne diesen legendären Pass nur noch morgens zwischen 6 und 9 Uhr fahren, wenn so gut wie kein Verkehr herrscht. Recht hat er.

Wenig später stehe ich am Abzweig zum Umbrail und mache eine kleine Pause. Nun muss ich mich entscheiden. Weiter nach Bormio und dann links weg zum Gavia. Oder doch lieber Plan B?
Je länger ich mir anschaue, was an Motorrädern und Autos sich da alles ins Tal stürzt, je länger ich überlege, welch ein Verkehr in den engen, unübersichtlichen Felstunnels herrschen wird, durch die die Straße nach Bormio trassiert ist – umso weniger habe ich Lust, so wie geplant weiter zu fahren.
Also Plan B: Umrail und Ofenpass sind angesagt. Kaum biege ich ab nach „Santa Maria Val Münster“, tauche ich ab in eine andere Welt: keine „Tiefflieger“ mehr, eine herrliche Streckenführung vor mir, malerische Landschaften um mich herum, es ist einfach nur schön. Dass jetzt nicht schneller als 80 km/h gefahren werden darf, passt irgendwie.

Auf dem Ofenpass lege ich eine kurze Pause ein und erreiche bald darauf Ardez. Hier zweigt ein kleines Sträßchen nach Ftan ab. Bis Ende November ist das Befahren verboten, weil der Belag erneuert wird. Glücklicherweise nur montags bis freitags – heute ist Samstag 😉

Also tuckere ich über den Höhenweg, halte immer mal wieder an um Blumenwiesen und Burgen zu fotografieren und gönne mir in Scuol eine ausgiebige Kaffeepause -die erste und einzige für heute.



Der Abstecher zur „Norberthöhe“ bleibt mir verwehrt – auch da wird wohl gebaut -, also geht es weiter Richtung Landeck. Kurz vor Pfunds zieht ein kräftiges Gewitter auf. Ich fahre direkt auf eine dunkle graue, undurchsichtige Wand zu. Als die ersten Tropfen fallen, zweige ich in einen Feldweg ab, um die Regenkombi überzuziehen. Die Gore-Membran in der Kombi hat ihre besseren Tage schon hinter sich.
Wie immer dauert es seine Zeit, bis Jacke, Hose, Gummiüberzieher für die Stiefel und Regenhandschuhe sitzen. Bis alles passt, ist das Gewitter durch und nur noch die Straßen nass. Auch wie immer (oder zumindest meistens).

Jetzt soll es auf direktem Weg ins Hotel gehen und der führt über Landeck. Weil im Navi Autobahn und Mautstrecken ausgeschlossen sind, „fragt“ der 395 ob er eine Alternative zur „schnellsten“ Strecke wählen soll. Die würde nämlich durch den vignettenpflichtigen Tunnel führen. Manchmal erfreut mich mein Garmin auch …

In Tarrenz wird noch einmal voll getankt – gut 300 erlebnisreiche Kilometer sind auch so zusammen gekommen. Die Entscheidung nicht die ganz große Runde zu fahren, war richtig. Zumal sich in den Abendstunden ein heftiges Gewitter zusammenbraut. Das bricht hernieder, als ich unter der heißen Dusche bin; der heftige Platzregen durchnässt meine Stiefel – außen wie innen – da die zum Auslüften auf dem Balkon stehen. Na toll!

Nach dem Abendessen ist auch die Sonne wieder da. Mal sehen, was der Tag morgen so bringt ….

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