Da wollte ich schon lange mal hinfahren. Zur „Automobil-Einfahrbahn“ am „Schönauer Hof“, mit deren Bau 1917 begonnen wurde. Die Test- und später auch Rennstrecke von Opel, die nahe Rüsselsheim in einem Wald liegt“, ist mittlerweile eine Ruine, aber immer noch sehenswert. Kaum zu glauben, was sich hier vor gut 100 Jahren alles ereignet hat …
Kleine „Spritztour“ am späten Samstagnachmittag. Nach einer guten halben Stunde Fahrt bin ich am Ziel. Fast – bis hierher und nicht weiter, signalisiert ein Sperrschild. Dahinter liegt ein Wasserschutzgebiet, das mit ein Grund für den Niedergang des „Motodroms“ vor den Toren der Stadt Rüsselsheim ist. Heißt: die letzten 300 Meter bis zur alten Rennstrecke müssen zu Fuß bewältigt werden …
Warum wurde das „Motodrom“ gebaut? Kaum hatte Opel damit begonnen, neben Fahrrädern und Nähmaschinen, auch Automobile zu bauen, beschwerten sich Anwohner über „unerträglichen Lärm“ und „gefährliche Raserei“, wenn die Werksfahrer von Opel mal wieder durch Rüsselsheim bretterten. Seine Königliche Hoheit, Großherzog Ernst-Ludwig von Hessen, zeigte Verständnis und machte der Hessischen Regierung 1915 zur Auflage, eine „Test- und Einfahrbahn“ anzulegen. Zwei Jahre später wurde mit dem Bau des 1,5 Kilometer langen Rundkurses als asymmetrische Ellipse begonnen, der 1919 fertig gestellt wurde.
12 Meter breit war die Fahrbahn, hinzu kam im Kurveninneren ein 8 Meter breiter Sandbahnstreifen als Sicherheitszone. Der obere Fahrbahnrand war mit einem durchgehenden Betonkragen versehen. Die Steilkurven wiesen eine Überhöhung von maximal 32 Grad auf, die Spitzengeschwindigkeiten von 140 km/h ermöglichten – Werte, die das „Motodrom“ Anfang der 20er Jahre zum schnellsten Kurs in Europa machten.
Am 24. Oktober 1924 feierte die „Opel-Rennbahn“ mit einem kombinierten Wettbewerb für Autos und Motorräder ihre sportliche Premiere. Mehr als 10.000 Besucher nahmen am Eröffnungsrennen teil; auf dem Höhepunkt ihrer Popularität sollen gut 50.000 Menschen ins Motodrom gekommen sein. Die Zuschauerresonanz war bei jedem Rennen enorm und für die Stadt Rüsselsheim stets ein Riesenspektakel. Einer der bedeutendsten Wettbewerbe auf der Opel-Rennbahn war der 1922 erstmals ausgelobte „Große Opelpreis“, der mit 100.000 Reichsmark dotiert war. Immer wieder wird auf dem Rüsselsheimer Rundkurs Rennsportgeschichte geschrieben. Berühmte Rennsportlegenden wie Fritz von Opel, Carl Jörns und Rudolf Carraciola gehen an den Start.
In ihrer mehr als zehnjährigen Ära entwickelte sich die Rennstrecke in Rüsselsheim zu einem Mekka der Motorsportfreunde. Vergleichbare Anlagen gab es damals nur in Großbritannien (Brooklands) und den USA (Indianapolis). Zu den absoluten Highlight entwickelte sich das 24 Stunden-Motorradrennen in verschiedenen Klassen, das sich als wahrer Publikumsmagnet erwies. Opel nutze die Hochgeschwindkeitsstrecke auch zu ungewöhnlichen Werbeaktionen. 1924 präsentierte man den Zuschauern, im Anschluss an ein Rennen, die gesamte Tagesproduktion des Automobilwerks in einem großen Korso: 125 Exemplare des populären Opel „Laubfrosch“ – das erste in Deutschland, nach dem Fließbandprinzip hergestellte Großserienfahrzeug.
Das beeindruckendste Zeugnis der Ingenieurskunst in den 20er Jahren war sicherlich die Entwicklung eines „Raketenfahrzeugs“. Am 12. März 1928 begannen, unter strengster Geheimhaltung, die ersten Testfahrten. Aus Sicherheitsgründen wurden zunächst nur zwei Raketen an einen „Laubfrosch“ geschraubt; die Premierenfahrt endet nach 35 Sekunden. Nur vier Wochen später, am 11. April 1928, erfolgte bereits der öffentliche Start eines Raketenwagens: des Opel RAK 1, das erste pulvergetriebene Raketenfahrzeug der Welt. Nach Justierung des Zündmechanismus hebt der Fahrer, Kurt C. Volkhart, den Arm. Die ersten der insgesamt zwölf Raketen hinter seinem Rücken zünden. Unter lautem Heulen und einem stechenden Zischen verschwindet der Raketenwagen in einer dichten Rauchwolke. In nur acht Sekunden sind 100 Km/h erreicht und die Zündung des nächsten Raketensatzes kann erfolgen. Nach Umrundung der Bahn sind alle Raketensätze verbraucht; es kehrt wieder Stille ein.
Gut zehn Jahre nach ihrer Errichtung hatte sich die Opel-Rennbahn überlebt. Der technische Fortschritt forderte seinen Tribut: das Oval aus Beton war trotz seiner Steilkurven den immer stärker und schneller werdenden Boliden nicht mehr gewachsen. Der sukzessive Niedergang des beliebten Motodroms war nicht mehr aufzuhalten.
1949 lief der Pachtvertrag für die Opel-Rennstrecke aus. Seither steht die Renaturierung im Sinnes des Trinkwasserschutzes im Vordergrund. Der geschichtsträchtige Rundkurs geriet als Industriedenkmal fast in Vergessenheit und ist heute zum großen Teil von dichter Vegetation überwachsen. Nur ein kurzes, arg ramponiertes Stück der alten Rennstrecke erinnert noch an die glorreiche Vergangenheit – irgendwie schade …
Alle Texte sind den Infotafeln auf der kleinen Aussichtsplattform entnommen.
Aufgrund eines Vertrags von 1909 ist das Gelände südlich des Bischofsheimer Weges bis heute Eigentum der Stadt Mainz, das vom Forstamt Groß-Gerau bewirtschaftet wird. Nachdem die ehemalige Start- und Zielgerade dem Straßenbau – der Verlegung der L 3012 – zum Opfer fiel, ist die alte Rennstrecke (oder was von ihr blieb) nur noch ein trauriger Torso. Wer mit dem Fahrrad unterwegs oder gut zu Fuß ist, kann einen Teilabschnitt, rund um die Reste des Industriedenkmals, erlaufen oder erfahren (Foto zeigt einen Kartenausschnitt von kommot).
Auf Instagram gibt es ein sehenswertes Video, dass die das heutige Areal auch von oben zeigt. Danke dafür.