LAGO DI LEDRO: VORTOUR / Sonntag, 16.6.2019 – Eigentlich wollte ich heute eine wenig Enduro fahren. Vom Croce Domini über die Tre-valli-Route zum Maniva und von dort auf losem Schotter runter an den Gardasee. Zurück dann über den Tremalzo, den ich erstmals bei unserem 80er-Jahre-Aufenthalt am Lago mit meiner 75/5 unter die Straßenräder genommen habe. Seit es ein Münchner Reiseveranstalter dort zu doll getrieben hat, ist die unbefestigte Rampe für Motorradfahrer eigentlich gesperrt – aber es gibt immer noch Möglichkeiten …
An der ersten Tanke funktioniert meine EC-Karte nicht …
Zunächst aber muss ich dringend tanken. Gestern Abend war dazu keine Gelegenheit mehr. Gleich hinter dem Hotel gibt es eine kleine IP. Doch der Automat akzeptiert meine EC-Karte nicht. Das fängt ja gut an. Drei Kilometer weiter die nächste Tanke. Hier klappt es. Karte rein, Zapfsäule ausgewählt, schon gibt es Benzin. Nur keine Quittung. Aber das ist verschmerzbar. Hauptsache die Suzi schafft die nächsten 300 Kilometer.
Auf gut ausgebauter Straße geht es Richtung Storo und weiter zum Lago di Idro. Ein Wasserfall und der Blick auf den See laden zu einem kurzen Fotostopp ein.
Ich entscheide mich, zunächst über den Maniva zu fahren – der Einstieg ist schnell gefunden. Die schmale Straße ist eher für Endurofahrer denn für Supersportler geeignet, die mir am Sonntag immer wieder entgegen kommen: enge Kehren, unübersichtliche Streckenführung, Split und zahlreiche Frostaufbrüche – eigentlich besteht die ganze Strecke rauf zum Pass nur aus Schlaglöchern – hier werden die Federbeine und die Aufmerksamkeit ordentlich gefordert.
Der Manila fordert Mensch und Maschine – nichts für Supersportler
Kaum kommt die Passhöhe in Sichtweite verblüffen mich zahlreiche Wohnmobile, die dort oben parken. „Die können doch nicht diese Strecke hinaufgefahren sein“, denke ich mir. Des Rätsels Lösung: die Nordrampe ist deutlich besser ausgebaut.
Meine ursprünglichen Plan, über den weitgehend unbefestigten Drei-Täler-Weg weiterzufahren, verwerfe ich schnell. Zum einen liegt am Wegesrand noch ordentlich Schnee, zum anderen bevölkern am Wochenende zahlreiche Wanderer die schmale Trasse. Die machen zwar bereitwillig Platz, aber der Gedanke, mich immer wieder durch Menschenmassen manövrieren zu müssen, scheint mir nicht sonderlich einladend.
Also entscheide ich mich, schon mal ein Stück des Weges nach Capovalle unter die Räder zu nehmen, hatte ich doch im Netz gelesen, dass auch dort ein Streckenabschnitt unbefestigt sein könnte. Bevor es am Donnerstag „Beschwerden“ gibt, will ich mir das vorher mal anschauen – und schon mal eine Bar suchen, in der wir am Vormittag eine kleine Rast einlegen könnten.
Die gut ausgebaute Straße führt durchs Trompia-Tal, benannt nach den Trumpilinern, einem keltischem Volksstamm, der kurz vor Christi Geburt in den so genannten Augusteischen Alpenfeldzügen besiegt und vertrieben wurden. Da eroberte der römische Kaiser Augustus die nördlichen Alpen, um zum einen die Handelswege zu sichern, aber auch um die eigenen Truppen rasch zwischen Italien, Gallien und den Donauländern verschieben zu können. Zudem wurde so die Eroberung Germaniens vorbereitet.
In Tavernole sul Mella findet sich, direkt am Abzweig zum Marmentino, eine kleine Bar. Während ich einen Espresso trinke, tobt hier das wahre Leben: Autos, Wohnmobile, vor allem aber Horden an Motorradfahrern quälen sich lautstark durch die enge Ortsdurchfahrt. Die Anwohner scheinen das mit stoischer Gelassenheit zu ertragen.
Vom knapp 1.000 Meter hohen Passo Marmentino führt die kurvenreiche Straße immer Richtung Osten. Es geht zügig voran. Nach unzähligen Kurven und Kehren, die häufig im Wald liegen, fahre ich direkt auf die kleine Kirche „Chiesa della Madonna delle Cornelle“ zu. Die liegt in einem so engen Tal, dass für eine Straße eigentlich kein Platz ist. Und so führt diese direkt am Eingangsportal vorbei. Wer aus der Kirche kommt, muss aufpassen, nicht überfahren zu werden …
Die Marienkirche stammt aus dem 16. Jahrhundert und steht eigentlich auf einem Felsvorsprung. Der viereckige gewölbte Portikus deckt einen Teil der angrenzenden Straße ab, von dem aus die Kirche betreten wird. Der eigentliche Kirchhof befindet sich an der Seite und dient uns als Parkplatz. Der Innenraum hat einen achteckigen Grundriss und ist mit einem Gewölbedach versehen.
Auf schmalen Straßen, die häufig durch dichte Wälder führen, geht es weiter Richtung Capovalle
Das nächste Kuriosum dieser Art liegt nur wenige Kilometer weit entfernt, nahe Capocalle: die Wallfahrtskirche „Madonna di Rio Secco“. Hier wurde ein Tunnel direkt neben das Gotteshaus gebaut. Der Weg dorthin ist abenteuerlich – aber durchweg asphaltiert, wenn stellenweise auch sehr schmal und übersichtlich.
Ich habe Glück: weil heute Sonntag ist, ist die Kirche geöffnet, so dass auch das Innere besichtigt werden kann. Erbaut wurde das Gotteshaus wohl um 1715 nach einer Marienerscheinung. Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, ist die Kirche der Schutzpatronin der Holzfäller und Köhler geweiht.
Vom Monte Stino – im gleichnamigen Rifugio wollen wir am Donnerstag zu Mittag essen – geht es, vorbei am beeindruckenden Stausee „Lago di Valvestino“, runter an den Gardasee.
Der Verkehr hält sich für einen Sonntagnachmittag in Grenzen, aber es ist schon wieder sehr warm und in den zahlreichen Tunnels, die auf der Strecke liegen, lässt so mancher Motorradfahrer seine Mitmenschen am unglaublichen Klangvolumen des Auspuffs seiner Maschine teilhaben. Immer wieder fahre ich an mächtigen Granit-Stelen vorbei, an denen einst Zitronen wuchsen, die für die Herstellung des für die Region typischen Limoncello gebraucht wurden.
Bis zur „Brasa-Schlucht“ folge ich der Straße, die am Westufer des Lago di Garda liegt. Dann geht es auf schmaler Trasse und durch einen langen unbeleuchteten Tunnel zum engen Felsdurchbruch, dessen Zufahrt am Wochenende ampelgeregelt ist. Stellenweise hat kaum ein Auto Platz auf der abenteuerlichen Straße, die fahrerisch schon eine Herausforderung darstellt.
Eine Fahrt durch die Brasa-Schlucht ist ein ganz besonderer Leckerbissen
Eine Herausforderung ganz anderer Art wartet wenig später am Einstieg in den Tremalzo auf mich. Die abenteuerliche „Militärstraße“ war im Sommer 1917, kurz vor der Zwölften Isonzoschlacht, fertig gestellt worden, um die Versorgung der italienischen Hauptwiderstandslinie im Val di Ledro zu sichern.
Während die Nordrampe heute durchweg asphaltiert ist, führt auf der Südseite ein befestigter Weg nur bis zum Nota-Pass. Dann beginnt der Schotter – und eigentlich auch ein allgemeines Fahrverbot.
In Wikipedia wird der weitere Streckenverlauf wie folgt beschrieben: „Der Weg ist zunächst (bis Notapass) asphaltiert und frei befahrbar. Danach folgt feiner Schotter, der im Laufe der Strecke immer gröber bis hin zu blankem, scharfkantigem Fels wird, der teilweise offen zutage tritt. Nach Gewittern ergeben sich starke Auswaschungen und Stufen in der Fahrbahn. Die Fahrbahnbreite nimmt stetig ab, ein Umkehren war, wenn überhaupt, nur an den Kehren möglich. Ausweichstellen existieren nicht.
Wegen Steigungen von über 14 Prozent war es an manchen Kehren erforderlich, zurückzusetzen, insbesondere bei Fahrzeugen mit langem Radstand.
Kurz vor dem höchsten Punkt wirkte sich erneut das Alter der Straße aus: Im Tunnel in knapp unter 1800 m Höhe brachen immer wieder größere Teile der Tunneldecke ein, die die Durchfahrt erschwerten beziehungsweise blockierten. Hier bestand zudem die Gefahr, im tief sandigen Untergrund des Tunnels stecken zu bleiben …“
Soll ich? Oder soll ich nicht? Dürfen dürfte ich …
Da stehe ich nun, mit meiner Sondergenehmigung, und überlege, kaum dass ich den Tremalzo in Angriff genommen habe, ob es wirklich vernünftig ist, dieses Abenteuer zu wagen. Mehrfach rutscht mir die Suzi schon auf den ersten hundert Metern unterm Hintern weg. Der geröllige Untergrund ist sehr tief, der Schotter sehr fein, so dass die Reifen nur sehr schlecht Gripp aufbauen. Eine Bedingung war, auf Stollenreifen zu verzichten, doch die reichlich abgefahrenen Heidenau K60 erweisen sich jetzt nicht als die beste Wahl. Ich rufe mir in Erinnerung, was ich meinen Teilnehmern immer wieder sage: „Schwierige Endurostrecken niemals alleine fahren und alles was abbrechen oder abreißen könnte, als Ersatzteil mitnehmen“. Der Ersatzkupplungs und -bremshebel aber liegen im Ducato.
Schweren Herzens breche ich meine Exkursion nach den ersten geschotterten Kehren ab. Unter den gegebenen Voraussetzungen wäre es unvernünftig alleine weiter zu fahren. Auf den nächsten 15 unbefestigten Kilometern würde so manche Unwägbarkeit auf mich warten, es ist schon spät und der „Vorteil“, so möglichst ungestört auf dem Tremalzo unterwegs zu sein, könnte sich bei einem Sturz als Nachteil erweisen.
Mühsam wende ich meine DR 650 und fahre ein wenig traurig, aber letztlich doch mit einem guten Gefühl wieder ins Tal. Im Hotel angekommen, treffe ich die ersten Teilnehmer; die letzten werden erst gegen 20 Uhr eintreffen. Der Weg an den Gardasee ist doch weit.
Das erste gemeinsame Abendessen im Hotel Garden am Lago di Ledro
Gemeinsam genießen wir erstmals die interessanten Kreationen des Küchenchefs des Hotels Garden. Es gibt Miesmuscheln mit Sarazen-Bruschetta, als Zwischengang eine „Aubergine Parmigiana“ und als Hauptgericht Wolfsbarschfilet in Zucchinikruste mit Naturkartoffel und hausgemachter Mayonnaise.
Wolfsbarschfilet
Natürlich durfte auch ein Nachtisch nicht fehlen
Als gute Tat des heutigen Tages laden wir zu später Stunde noch die GS von Charly aus dem VW-Bus – bei Vollmond wohlgemerkt. Ob das gegen die vielen Wehwechen des betagten Boxers hilft? Wir werden sehen …
Hier wird eine GS bei Vollmond entladen …