Wie wäre es mal mit Flussgeschichten? Dem Lauf eines Gewässers folgen, von der Quelle bis zur Mündung. Motorrad fahren, mit einem klaren Ziel vor Augen: erfahren – im wahrsten Sinne des Wortes – was sich an Geschichte links und rechts des Ufers so zugetragen hat. Eine spannende Idee, nicht wahr?
Die Fulda ist das Ziel der ersten dieser Reisen. Gut 220 Kilometer lang, bietet sie sich für ein langes Wochenende geradezu an. Und so treffen wir uns am Freitagvormittag in Schlüchtern, um gemeinsam eine „Reise durch die Zeit“ anzutreten.
In Eichenzell treffen wir wenig später zum ersten Mal auf die Fulda, die sich häufig hinter hohen Böschungen versteckt. „Weckfresser“ wurden die Einwohner früher genannt. In einer Zeit, in der man sich oft von tage-altem trockenen Brot ernähren musste, waren Feiertage immer etwas ganz besonderes. Da wurden frische Weck gebacken, die am Ende einer Prozession ausgegeben wurden. Meist waren die Eichenzeller die ersten oben an der Kirche auf dem Florenberg, so dass die Bewohner der umliegenden Gemeinden oft leer ausgingen. „Weckfresser“ wurden sie deshalb geschimpft.
Wir fahren ein paar Kilometer auf der B 279. Im Wald hinter dem Parkplatz rechterhand verbirgt sich die Ruine eines alten Wachtturm. Acht bis neun gab es davon früher einmal rund um Fulda. Beobachtet wurden von hier die Tiere auf dem Feld, aber auch die Früchte auf den Feldern – es sollte ja nichts wegkommen.
Der Verlauf der B 279 entspricht auf diesem Teilstücke – nahe Rothemann – übrigens recht exakt dem ursprünglichen Verlauf der alten Handelsstraße von Hammelburg über Brückenau nach Fulda.
Bald darauf ist Schachern erreicht. Mitte des 16. Jahrhunderts gehörte die kleine Ortschaft zum „Buchschen Quartier“ – einem reichsfreien Ritterkanton mit eigener Gerichtsbarkeit. Kleinere Vergehen wie Diebstähle oder Beleidigungen wurden eigenständig verhandelt.
1806 annektierte Napoleon Bonaparte Schachern. Der eigentliche Regent, Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau, war mit einer 1.000 Mann starken preußischen Division in die Schlacht von Jena gezogen – und hatte kapituliert. Daraufhin nahm Napoleon die Ländereien des Fürsten in Besitz.
Die Mittagspause legen wir an einem idyllischen Plätzchen unterhalb der Wasserkuppe ein. Die Berghütte Guckai am gleichnamigen See ist das Ziel. Ein kurzer Fußmarsch vom ausgewiesenen Motorradparkplatz ist erforderlich; das letzte Stück des Weges unterliegt einen Fahrverbot.
„Haltet Euch besser dran, die Polizei kontrolliert hier oft und dann gibt es Ärger“, warnt uns ein netter Spaziergänger mit Hund. Also „gönnen“ wir uns einen kleinen Spaziergang, der uns direkt am malerischen Guckai-See vorbei führt – dem einzigen Naturbadesee in der hessischen Rhön.
Auf der Terrasse sitzend, genießen wir die herrliche Ruhe – die an sonnigen Wochenenden hier ganz bestimmt nicht zu finden sein wird – und unser leckeres Mittagessen: beispielsweise feine Spinatknödel an herzhafter Gorgonzola-Sauce.
In einem weiten Bogen Richtung Norden fahrend, wird Tann in der Rhön Ziel der nachmittäglichen Kaffeepause sein. Mehrfach wechseln wir auf dem Weg dorthin zwischen Hessen und Thüringen – und damit zwischen der ehemaligen Grenze zwischen Deutschland Ost und Deutschland West.
Einen kurzen Stopp legen wir bei „Point Alpha“ ein. Heute besuchenswerte Gedenkstätte, standen sich hier einst NATO und Warschauer Pakt in Sichtweite gegenüber.
Auf kleinen kurvenreichen Straßen geht es weiter Richtung Tann, zum „Eiscafé Royal“, direkt am Marktplatz. Eine ältere Dame interessiert sich für unsere Motorräder. Wir kommen ins Gespräch. „Früher seien sie ja auch Motorrad gefahren“, erzählt fast ein wenig verlegen. Ihr Mann, der habe eine 250er BMW besessen – dass sei damals ein richtig großes Motorrad gewesen. Aber wenn sie sich unsere Maschinen heute anschauen würde …
Wir stärken uns mit Espresso oder Eisbechern und genießen die kleine Pause, bevor wir zur letzten Etappe des Tages aufbrechen – dem eigentlichen Beginn unserer kurzweiligen Reise: wir fahren zur Fuldaquelle, die unterhalb der Wasserkuppe entspringt.
Was uns hier in Stein gefasst entgegen sprudelt, ist streng genommen nicht die Quelle der Fulda. Die entspringt etwas weiter oberhalb, in der Nähe des Parkplatzes.
Kurz darauf erreichen wir den Gasthof Ebersburg – und werden schon erwartet 😉
Nach dem gemeinsamen Abendessen geht es dann bald ins Bett, morgen wartet ein weiterer spannender Tag auf uns.