Vom „Chaos“ ins Land der Hugenotten

Montag, 9.9.2019 / Cevennen – Zweiter Tourtag: Zum Glück ist es schon September. Da geht die Sonne nicht mehr ganz so früh auf. Mir ist noch in guter Erinnerung, wie faszinierend der Anblick auf den runden Feuerball bei unserem letzten Aufenthalt in Châteauneuf de Randon war. Kurz vor dem Frühstück, auf dem Feld gegenüber des Hotels, ging die Sonne kurz vor dem Frühstück auf. Genau da will ich in den nächsten Tagen ein paar beeindruckende Fotos machen.

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Um kurz nach sieben stehe ich am Montag das erste Mal am Straßenrand. Rauhreif liegt auf den Gräser. Die Temperaturen gerade einmal null Grad. Leichte Nebelschwaden wabern übers Feld, als sich die Sonne ganz langsam über die Baumwipfel schiebt. Eine tolle Szene.

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Leicht verfroren sitze ich nach der morgendlichen „Fotosession“ am Frühstückstisch. Ein Café au lait, gestreckt mit einem kleinen Espresso, holt die Lebensgeister zurück, so dass wir pünktlich um 9 Uhr auf die Maschinen steigen können. Treffpunkt ist die nahegelegenen Tankstelle; zum Spritfassen ist Dieter mit der Gruppe nicht mehr gekommen.

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Wir fahren nach Süden und erreichen schon bald den „Col de la Pierre Plantée“. Wir befinden uns auf dem „Dach Frankreichs“, wie die Region hier genannt wird. Ein altes Steinkreuz in 1264 Metern Höhe erinnert daran. Regen, der hier fällt, kann von dieser Hochebne aus sowohl in Loire, wie auch in die Rhone oder die Garonne fließen.

Wir biegen wir auf die D26 ab und kratzen schon bald an der 1.600 Meter-Marke. Bei strahlendem Sonnenschein geht es über den Col de Finiels, dem mit 1541 Metern höchstem „Pass“ in den Cevennen (und dem zweithöchsten im Massiv Central). Wir sind sind im Bergmassiv des Mont Lozère unterwegs; nicht weit von hier entspringt die Quelle des Tarn. Dem Fluss wollen wir am Donnerstag einen Besuch abstatten.

Rund herum blüht die Heide, die Fernsicht ist atemberaubend. Kurvenreich schlängelt sich die D20 durch eine immer wieder aufs neue faszinierende Landschaft.

Nahe „Le Pont-de-Montvert“ erreichen wir zum ersten Mal das „Chaos“ – so wird eine Landschaft genannt, in der große Felsbrocken chaotisch verstreut liegen. Ein faszinierender Anblick, der im Bild festgehalten werden muss.

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Die erste Kaffeepause legen wir in Florac im „Hotel Pont Neuf“ ein und genießen auch hier den Ausblick auf imposante Felsformationen.

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Von Florac aus führt eine weitere Höhenstraße – die „Corniche des Cévennes“ – kurvenreich nach „Saint-Jean-du-Gard“. Am 1004 Meter hohen „Col de Faisses“ legen wir einen kurzen Fotostopp ein, die weiteren Aussichtspunkte lassen wir im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und genießen statt dessen den nicht enden wollenden Kurvenschwung.

In Saint-Jean-du-Gard biegen wir auf die rumpelige D983 ab und folgen nun dem Flusslauf des „Le Gardon des Mialet“. So langsam wird es Zeit fürs Mittagessen. Das haben wir in „Saint-Germain-de-Calaberte“ eingeplant. Zielsicher steuern wir (dank der in google-maps recherchierten Koordinaten) das kleine Lokal „Placette“ an, das sich als echter Geheimtipp entpuppt.

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Angesichts der kaum vorhandenen Infrastruktur in den Cevennen, sind wir – auch aufgrund der bei früheren Touren gemachten Erfahrungen – dazu übergegangen, die Pausen quasi vor zu buchen. Schon bei der Planung der Routen schauen wir, in welchem Lokal wir unsere Pause einlegen könnten und fragen dort nach, wie die Öffnungszeiten sind und ob wir beispielsweise mit unserer Gruppe zum Mittagessen vorbeischauen dürfen. Das macht im Vorfeld zwar reichlich Arbeit, garantiert aber während der Tour einen relativ entspannten Ablauf. So auch heute: auf der kleinen Dachterrasse des „Placette“ ist die lange Tafel schon für uns eingedeckt und der „Maitre“ weiß, dass wir kein Menue sondern nur eine Kleinigkeit wollen; eigentlich.

Auf der mit Kreide beschriebenen Schiefertafel lassen die verschiedenen Gerichte die Wahl zur Qual werden, doch schließlich hat Jeder das für ihn passende Mittagessen gefunden.

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Ich nutze die Gelegenheit und schlendere ein wenig durchs Dorf. Im Jahr 1800 lebten hier noch 1669 Menschen, 2003 waren es noch 445. Jahrhundertelang waren die Menschen Selbstversorger, lebten von Ackerbau und Viehzucht, zu der in erster Linie Schafe, Ziegen, Rinder und Hühner gehörten. Im 18. und 19. Jahrhundert florierte die Seidenweberei. Noch heute wird Pélardon-Käse produziert und in geschützten Lagen werden Esskastanien oder Maulbeerbäume angepflanzt. Mittlerweile lebt das Dorf vorwiegend vom Tourismus, etwa durch das Vermieten von Gîtes – kleinen Ferienwohnungen.

Direkt neben der Pfarrkirche „Saint-Germain“, deren Ursprünge auf das 14./15. Jahrhundert zurück gehen, steht die Skulptur des „Homme Cevenol“, die an die regionale Kultur des Bauens mit unbearbeiteten Natursteinen erinnern soll.

Auch in Saint-Germain-de-Calaberte hat die Kirche – oder sollte man besser sagen, die Auseinandersetzung um den „richtigen“ Glauben – ein dunkles Kapitel der Geschichte geschrieben. Im 16. und 17. Jahrhundert geriet das Dorf unter protestantischen Einfluss. Dem bereitete jedoch der Krieg gegen die Kamisarden (wie die Hugenotten hier genannt wurden) ein Ende, nachdem das im Jahr 1598 von Heinrich dem IV. erlassene „Edikt von Nantes“ von Ludwig XIV rund hundert Jahre später wieder aufgehoben wurde. In der Folge fanden in den Jahren 1702 bis 1705 inquisitorische Strafmaßnahmen in den Bergdörfern der Cevennen statt – die so genannten Dragonaden. Ziel war es, die Bevölkerung zurück zum katholischen Glauben zu zwingen.

Dragoner (daher der Name „Dragonade“) wurden auf Befehl des Königs in den Höusern jener Menschen einquartiert, die als unbotmäßig oder gar als potentiell aufrührerisch galten. Die betroffenen Familien mussten die Soldaten in ihren Häusern dulden und für deren Verpflegung aufkommen. Sehr oft plünderten die Dragoner die Häuser, erpressten Geld und bedrängten die Frauen bis zur Vergewaltigung. Ihre eigentliche Aufgabe was die Überwachung der Bewohner; das Lesen und das Studium der Bibel sowie das Singen von Psalmen sollte unterbunden werden. Gegen diese und andere Repressalien lehnte sich die Hugenotten schließlich auf, doch ihr Widerstand wurde blutig niedergeschlagen, weite Landstriche der Cevennen regelrecht entvölkert. Erinnert wird daran allenfalls in den Geschichtsbüchern.

Wir wenden uns den Freuden unserer Motorradtour zu und genießen, was die Küche auf den Tisch zaubert – und das sind ordentliche Portionen, die uns ganz sicher satt werden lassen.

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Der doppelte Hamburger mit Ziegenkäse war nur eine der Köstlichkeiten, unter denen wir auswählen konnten …

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Auf kleinen kurvenreichen Straßen fahren wir nach der ausgedehnten Mittagspause weiter und legen unterwegs immer wieder kurze Fotostopps ein.

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Am späten Nachmittag ist der „Lac de Villefort“ erreicht. Der 35 Millionen Kubikmeter Wasser fassende Stausee dient in erster Linie der Stromversorgung. Wir legen auf der Terrasse des „Hotel du lac“ eine erholsame Kaffeepause ein.

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Auf schmalen Wegen geht es anschließend weiter Richtung N88. Die letzten Kilometer sind wir auf der gut ausgebauten Nationalstraße – mit der in Frankreich derzeit geltenden Höchstgeschwindigkeit von unglaublichen 80 km/h (auf einspurigen Landstraßen) – unterwegs. Dann heißt es noch einmal volltanken.

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Die „Pferde“ kommen in einen geräumigen Stall, der direkt gegenüber dem Hotel liegt …

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… dann wartet, „getaner Arbeitet“, das wohlverdiente Feierabendbier auf uns.

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Das kann Charly nicht so richtig genießen, kündigt die Wetter-App doch für den morgigen Dienstag Regen an.

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Von dieser Prognose lassen wir uns aber nicht beirren, sondern genießen erst einmal das leckere Abendessen.

 

Als wir satt und zufrieden ins Bett gehen, verwendet keiner mehr einen Gedanken an das morgige Wetter – das können wir sowieso nicht ändern. Machen wir also das Beste daraus. Bis dahin: gute Nacht 😉

Der Kartenausschnitt zeigt die Strecke, die wir am Montag, den 9.9.2019 zurückgelegt haben. Im anschließenden Post siehst Du die Route auch im Video. Das haben wir, zusammen mit einem kurzen Text; schon während der Tour veröffentlich.

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Quelle: MapOut – eine sehr empfehlenswerte App

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