LAGO DI LEDRO: Vortour / Samstag, 15.6.2019 – Daran werden wir uns gewöhnen müssen: Schlag sieben Uhr am Morgen begrüßen die Glocken der Mariä-Verkündigung-Kirche (Chiesa dell’Annunciazione) – die schräg gegenüber dem Hotel steht – den neuen Tag. Das Gotteshaus zählt zu den bedeutenden Bauwerken im Ledrotal und wurde bereits 1235 erstmals erwähnt.
Blick auf den Glockenturm der Chiesa dell’Annunciazione
„Trost“ finde ich wenig später bei Frühstück, das so herrlich italienisch ist: Kuchen und Törtchen in allen Variationen auf der einen Seite, Schinken, Mortadella, Salami und Käse auf der anderen. Dazu verschiedene Kaffeevariationen – so kann der Tag beginnen.
Mein heutiges Ziel ist der Monte Lessini, ein malerischer Gebirgszug, der nördlich von Verona, östlich des Etschtales und südlich des Pasubio liegt. In einer der gut 120 Almhütten und Rifugios, die es in diesem Naturpark liegen, wollen wir am Montag zur Mittagsrast einkehren. Zahlreiche Wege führen dorthin, einige auch unbefestigt – deshalb kommt heute die „stollenbereifte“ DR 650 zum Einsatz.
In Garda geht es zunächst einmal nur im Schritt-Tempo vorwärts. Autos, Busse, Wohnmobile quälen sich über die Uferstraße. Dazwischen wuseln Rollerfahrer in Schlappen und T-Shirt, die jede sich bietende Lücke nutzen, um vorwärts zu kommen. Ein Fahrweise, die mir nicht unsympathisch ist und hier problemlos funktioniert.
Auch hinter Riva: zähfließender Verkehr in beiden Richtungen
In Nago biege ich auf die SS240 ab, um bei Mori den Monte Baldo quasi von der Rückseite zu erklimmen. Auf schmaler Trasse geht es kurvenreich bergauf, in die Einsamkeit der Berge. Von der Hektik, unten am Gardsee, ist schon hier nichts mehr zu spüren.
Eine ausgeschilderte Umleitung lädt zu einem spontanen Fotostopp, die Suche nach einer interessanten Alternative zurück auf die Hauptstrecke endet vor einem verblassten Verbotsschild. Weil mir mehrfach Radfahrer am Einstieg entgegen kommen, verzichte ich auf diese verlockende Variante und nehme die offizielle Umleitung.
Wenig später erreiche ich das Rifugio „La Baita del Trett“und lege eine erste Kaffeepause vor prachtvoller Kulisse ein. Blauer Himmel, grüne Wiesen auf denen eine Herde Kühe grast und karstige Berge – hier lässt es sich aushalten.
In unzähligen Kurven und Kehren stürzt sich die schmale Straße wenig später ins Tal, um nach nur wenigen Kilometern nicht minder kurven- und kehrenreich zum Monte Lessini wieder anzusteigen.
Am Passo Fittanze ist mit 1393 Metern ein weiterer Hochpunkt erreicht. Das gleichnamige Rifugio ist am Wochenende ein beliebter Treffpunkt der Motorradfahrer. Ich genieße die Aussicht, setze meine Fahrt aber schon bald fort. Ein anderer „Leckerbissen“ wartet auf mich: ein kilometerlanger, unbefestigter Weg, der über eine Hochebene zum Monte Branchetto führt.
Der Einstieg ist schnell gefunden. Zwei Motorradfahrer kommen mir entgegen, kurz darauf stolpern die Sozias zu Fuß über die staubige Piste – der Weg scheint vielversprechend 😉 Holprig geht es bergan. Unterwegs gibt es einige Almen, die Möglichkeit zur Einkehr bieten. Insofern treffe ich am Wochenende auch immer wieder auf Autofahrer, Radfahrer und Wanderer – in Deutschland wäre das völlig undenkbar. Selbst ein Milchlaster ist auf der unbefestigten Piste unterwegs, der aber freundlicherweise schnell Platz macht.
Mein Ziel ist das Rifugio Branchetto, das etwas unterhalb der Passhöhe liegt. Erika und Mattia empfangen mich herzlich. Bei einem leckeren Latte Macchiato besprechen wir den geplanten Besuch unserer Gruppe am Montag. Eigentlich ist das Rifugio da geschlossen, aber für uns macht man gerne eine Ausnahme. Danke.
Ich überlege, hier vielleicht mal einen längeren Aufenthalt zu verbringen. Treffpunkt am Brenner, in einer kurzweiligen Tagesetappe zum Rifugio Branchetto. Drei, vier Übernachtungen, die ausreichend Zeit bieten, die Region des Monte Lessini ausgiebig zu entdecken und – bei Interesse – auch den einen oder anderen Enduroabstecher bieten würden. „Kein Problem“, sagt Erika und zeigt mir gerne die Zimmer. Alles sehr vielversprechend … Was haltet Ihr von dem Gedanken?
Kaum sitze ich auf dem Motorrad, „muss“ ich auch schon wieder anhalten. Ein Schäfer lässt seine Herde am Straßenrand weiden – ein tolles Fotomotiv. Ich frage den Hirten, ob ich ein paar Fotos machen dürfe, was dieser bejaht. Kaum kniee ich am Straßenrand, kommt einer der Hütehunde und will schmusen – bis ihn ein energisch gesprochener Satz an seine Aufgabe erinnert. Ich mache noch ein paar Aufnahmen und fahre dann weiter.
Wenig später wartet die nächste Herausforderung auf mich: eine gesperrte Straße. Zwar hatte ich am Abzweig irgendwas von Bauarbeiten gelesen – wer rechnet aber in Italien damit, dass eine Strecke wirklich gesperrt seine könnte? Irgendwas geht immer.
Diesmal aber nicht. Zwei Bauzäune stehen quer auf der Straße und machen jede Umfahrung unmöglich. So etwas hätte es früher nicht gegeben. Ein Blick in die Landkarte und aufs Navi zeigt: da muss es eine kleine Straße außenrum geben. Die ist mit ein bisschen Suchen auch bald gefunden, allerdings sehr schmal und unübersichtlich, zudem mit einigen sehr engen und nach Innen abfallenden Kehren versehen, so dass ich mich frage, ob ich hier wirklich mit meinen Teilnehmern entlang fahren möchte. Wenn da eine Maschine kippt …
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit muss ich mich jetzt entscheiden: fahre ich noch ein paar kleinere Endurostrecken ab und versuche, doch irgendwie einen Weg über den Passo di Campogrosso zu finden oder bin ich eher pragmatisch und fahre über den Passo Xom, um nicht in tiefdunkler Nacht im Hotel anzukommen. Bei der Gelegenheit könnte ich auch gleich schauen, warum im Gasthof auf dem Pass niemand ans Telefon geht, könnten wir hier doch noch eine schöne nachmittägliche Kaffeepause einlegen.
Letztlich siegt die Vernunft und die geplanten Eskapaden werden auf das nächste Mal vertagt. Statt dessen geht es kurvenreich den Passo Xom hinauf. Den gesuchten Gasthof gibt es nicht mehr, aber wenige Kilometer talabwärts findet sich ein Bar, in der es neben Kaffee auch lecker Eis gibt. Soviel Zeit muss sein 😉
Eine kleine Erfrischung gefällig?
Der Weg zurück ins Hotel führt vorbei am Pasubio. Das mächtige Gebirge war im Ersten Weltkrieg Schauplatz blutiger Schlachten, bei denen Österreicher und Italiener gegenseitig Gipfel in die Luft sprengten, die vom Gegner eingenommen waren. In nur sechs Monaten Bauzeit entstand 1916 die abenteuerliche „Strada delle Gallerie“. 600 italienische Soldaten hauten einen kühnen, sechs Kilometer langen Versorgungsweg in den Fels, mit insgesamt 52 Tunnels, von denen der längste 320 Meter misst.
Mitte der 1980er-Jahre waren wir mit einer der ersten von mir organisierten Motorradtour am Gardasee gestrandet. Von Frankreich kommend, wollten wir durch Italien weiter in die Schweiz fahren, doch schwere Unwetter hatten viele Passstraßen im Land der Eidgenossen unpassierbar gemacht. Also blieben wir länger als eigentlich geplant am Lago und brachen jeden Tag aufs neue zu unbeschwerten Touren auf. Eine sollte uns auch zum Passubio führen, doch irgendwie passte an diesem Tag nichts zusammen, so dass wir unser Vorhaben auf später verschoben …
Mittlerweile ist die „Straße der 52 Galerien“ schon (seit Jahren) gesperrt. Selbst Mountainbiker dürfen sie, bei Androhung hoher Geldstrafen, aus Sicherheitsgründen nicht mehr befahren. Spätestens am Rifugio A. Papa (Generale Achille Papa) ist Schluss. Irgendwie schade.
Gleichwohl beeindruckt der mächtige Gebirgsstock des Pasubio noch immer. Auch die Fahrt über den Pass Plan delle Fugazze und die sich anschließende „Höhenstraße“ Richtung Rovereto ist nicht nur in den Abendstunden ein Genuss.
Es wurde dann doch 20 Uhr, bis ich wieder im „Hotel Garden“ war. Ob Sie mir für 20:30 Uhr einen Tisch reservieren dürfe, fragt Lisa an der Rezeption? Gerne, so bleibt vor dem Essen noch Zeit für eine heiße Dusche. Beim anschließenden Blick in die Karte bleibe ich bei dem Gericht Rosa Rossa hängen:
Gefüllte Rote-Rüben-Tortello mit Steinpilzen, lokalem Käse,
Bio-Lauchcreme und gerösteten Haselnüssen
Zum Nachtisch gönne ich mir noch was Gesundes, um das schlechte Gewissen zu beruhigen:
Gefüllter Buchweizenkuchen mit Johannisbeere, Apfelcreme
sowie Vanille mit Lakritze
Satt und zufrieden falle ich anschließend ins Bett und freue mich auf den nächsten Tag, der mir gleich zwei Optionen bietet. Dazu morgen mehr …